Von der Schweiz nach Portugal – Eine Auswanderung mit der ganzen Familie
[Gastartikel von Angélique Monteiro]
Auswanderung war in meiner Jugend immer wieder ein Thema, jedoch nie konkret und nicht nach Portugal. Als Kind verbrachte ich jeden Sommer fast einen Monat in Griechenland, in einem ruhigen Ort am Meer, der kaum von Touristen besucht wurde. Meine Eltern äusserten oft den Wunsch, ihren Ruhestand in Griechenland zu verbringen, und für mich stand fest, dass ich sie begleiten und die Strassenhunde dort unterstützen würde.
Doch es kam alles ganz anders….
Nach der Schule machte ich eine Ausbildung im Gastgewerbe und danach lebte ich fast ein Jahr in den USA bei meinem Onkel und seiner Familie der auch ein „Auswanderer“ ist. Als ich zurück in die Schweiz kam, begann ich Hotel Management zu studieren und es zog mich nach einiger Zeit für ein Praktikum nach Zermatt. Dort lernte ich einen jungen Mann kennen, einen Portugiesen (mein jetziger Mann😉).
Ich hatte vorher nie grosse Berührungs-Punkte zu dieser Nationalität und kannte Portugal gar nicht. Dieser Teil der Schweiz hatte zu dieser Zeit sehr viele Portugiesen, die fast alle im Gastgewerbe arbeiteten. Es war nicht einfach, denn ich konnte kein Portugiesisch und er fast kein Deutsch oder Englisch, doch die Sprache der Liebe siegte und wir verliebten uns.
Nach einigen Jahren zog ich zurück in die Nähe meiner Eltern, da mein Vater schwer erkrankte. Ich brach mein Studium ab und orientierte mich neu in einem Bürojob. Während dieser Zeit absolvierte ich verschiedene Weiterbildungen, unter anderem in Buchhaltung und Tierschutz, und schliesslich fand ich meinen Weg ins Human Ressource.
Meine Liebe zu Portugal
Die Eltern meines Mannes lebten in Portugal und ich wollte das Land unbedingt kennenlernen. Interessanterweise zeigte mir mein Mann zuerst die Algarve, obwohl er aus dem Norden stammte. (Ich vermute, er wollte mich mit dem warmen Meerwasser beeindrucken.) Das Meer und die Landschaft gefielen mir sehr gut, jedoch konnte ich mich nicht so recht mit den Menschen anfreunden, die Region schien mir zu touristisch. Der Funke sprang nicht über und ich war etwas enttäuscht.
2007 verstarb mein Vater, der ganze Leidensweg nahm mich sehr mit. Ich brauchte Abstand und mein Mann brachte mich zu seinen Eltern in ein kleines Bergdorf in Nordost-Portugal. Es war ruhig, schön, viele Tiere und herzliche Menschen. Wir unternahmen Ausflüge in der Region. Dort begann meine grosse Liebe für Portugal.
2014 wurde unser Sohn geboren. Wir reisten häufiger nach Portugal, damit die Grosseltern Zeit mit ihm verbringen konnten. Ich suchte interessante Orte von Alentejo bis Geres aus, die wir besuchten. So lernte auch mein Mann sein Land besser kennen.
Unser Sohn hatte grosse Schwierigkeiten im Kindergarten, die sich in der Schule verschärften. Obwohl das Schweizer Schulsystem gut ist, passte es leider nicht zu unserem Sohn. Er litt sehr unter der Umgebung. Wir wussten, dass sich etwas ändern musste und suchten nach Möglichkeiten, wie z.B. einen Umzug in eine Region mit besserer schulischer Unterstützung.
Ich startete neben meinem Human Ressource Job mir ein 2. Standbein aufzubauen, mit Networkmarketing und dem Partnerunternehmen Ringana. Ich lernte Carmen kennen, meine Mentorin, die bereits vor einigen Jahren nach Portugal ausgewandert ist. Sie zeigte mir immer wieder, dass es in Portugal möglich ist, unabhängig und frei zu arbeiten.
Schicksal-Schläge können alles schnell verändern
Anfangs 2023 verstarben mein Schwiegervater und die Schwieger-Grossmutter unerwartet. Dies hat uns wieder mal mehr gezeigt, wie wenig Zeit sie tatsächlich mit unserem Sohn und uns verbringen konnten und wie schnell das Leben enden kann. Diese Ereignisse haben meinen Wunsch nach einem Neuanfang an einem anderen Ort, vorzugsweise in Portugal, weiter bestärkt.
Ich suchte einen neuen Job, der mich vom Pensum nicht ganz so beanspruchte und entschied mich bewusst für ein befristetes Arbeitsverhältnis. Nebenbei begann ich mich über die Selbstständigkeit in Portugal zu informieren. So lernte ich Svenja kennen und buchte einen Kurs bei ihr.
Mein Mann haderte lange mit dem Gedanken zurück in seine Heimat zurückzukehren. Er verbrachte mehr Zeit von seinem Leben in der Schweiz und empfand dort eine finanzielle Sicherheit.
Weitere Hürden…
Es gab noch eine andere grosse Hürde und dies war meine Mama. Sie lebte aus gesundheitlichen Gründen seit Jahren mit uns zusammen. Ich wollte sie nicht allein in der Schweiz zurücklassen.
Während eines ruhigen Moments erzählte ich ihr von meinen Plänen und fragte sie, ob sie sich vorstellen könnte, uns zu begleiten. Sie war bereits einige Male mit uns in Portugal gewesen, aber ihre Vorliebe galt Griechenland, weshalb ihre Begeisterung zunächst verhalten war. Einige Wochen später kam sie jedoch unerwartet auf uns zu und sagte, dass es eigentlich keine schlechte Idee sei.
Im Sommer 2023 schickten wir meine Mutter für drei Wochen alleine in die Ferien in ein kleines Häuschen in einem ländlichen Gebiet. Gleichzeitig machten wir ihr die Region schmackhaft, in der wir uns vorstellen konnten, zu wohnen. Es sollte zwischen dem Dorf der Familie meines Mannes und dem Meer liegen.
Es wurden verschiedene Häuser besichtigt, um eine Vorstellung davon zu bekommen, was uns bei einem möglichen Immobilienkauf erwarten würde (Tipp: unbedingt die Immobilien persönlich besichtigen, da die Fotos oft stark von der Realität abweichen). Das Ergebnis dieser Reise war, dass meine Mutter überzeugt war, diesen Weg gemeinsam mit uns und dem Hund zu gehen. Voraussetzung war ein Haus mit ihrem eigenen Bereich und einem Garten in einer eher ruhigen Lage.
Und plötzlich ging alles ganz schnell….
Im Herbst fanden wir unser Haus im Bezirk Aveiro, das näher am Meer lag als ursprünglich geplant. Im Winter unterzeichneten wir den Vertrag und Ende März war alles für den Umzug vorbereitet. Ende März kam der grosse Lastwagen aus Portugal, und das gesamte Hab und Gut wurde transportiert. Wir informierten unser Umfeld erst spät über diesen Schritt und vollzogen den Auszug beinahe unbemerkt.
Einige Menschen, auch aus unserem näheren Umfeld, konnten diesen Schritt nicht verstehen. Sie fragten: „Wie kann man sein Kind aus einem stabilen Umfeld reissen? In ein Land ohne sicheren Job, schlechtem Gehalt und fremder Sprache? Und dann nehmt ihr auch noch die Oma mit?“ In solchen Momenten kamen mir auch Zweifel auf.
Waren die Zweifel begründet?
Unser Sohn wurde bereits Mitte April in eine staatliche Schule im Ort eingeschult, die wir im Vorfeld besichtigt und über deren System wir uns informiert haben. Er fand rasch Anschluss in einem Fussballverein sowie neue Freunde. Portugiesisch spricht er schon fast wie ein Einheimischer. Ich hatte niemals die Illusion, dass unser Sohn in Portugal „geheilt“ würde, sondern wollte lediglich, dass es ihm besser geht. Dies haben wir aktuell erreicht, auch weil in Portugal das Wohl des Kindes stärker im Mittelpunkt steht und die Menschen hier viel herzlicher sind.
Was mache ich hier eigentlich…
Ich habe mich in Portugal offiziell angemeldet mit Aufenthaltsbewilligungen und meine Selbständigkeit aufgenommen. Die Komfortzone zu verlassen und plötzlich auf sich allein gestellt zu sein, ist spannend, aber auch sehr herausfordernd. Nachhaltige frische, vegane Produkte & Supplements an mehr Menschen zu bringen und nebenbei Mensch und Tier im Glück, meinen Herzensverein zu unterstützen, ist eine super Kombination. Nebenbei übernehme ich kleinere Projekt aus dem Personalwesen, damit meine andere Leidenschaft auch nicht zu kurz kommt.
Meine Botschaft: ortsunabhängig, flexibel arbeiten kombiniert mit mehr Freiheit für Familie & Tiere, muss kein Traum sein, es braucht einfach MUT und Offenheit!
Seit Herbst besuche ich einen Portugiesisch-Kurs für Immigranten, da es mir sehr wichtig ist, die Sprache meiner neuen Heimat verstehen und sprechen zu können. Mein Ehemann kehrte für einige Monate in die Schweiz zurück, um neue Mitarbeiter an seiner ehemaligen Arbeitsstelle einzuarbeiten. Er arbeitet jetzt aber auch in Portugal.
Meine Mama geniesst die Ruhe, den Garten, die Natur und die Tiere. Sie hat sich noch nicht einmal über diesen Wegzug beschwert. Unser „kleiner Zoo“ wird auch grösser, wir haben auch schon Tiere „gerettet“. Einen Baby Hund, eine Babykatze und vier Babyschildkröten … und es folgen sicher noch mehr!
Was ich unbedingt erwähnen möchte, ich lebe in keiner «Expat-Bubble». Unser Ort ist ein kleines Fischerdorf, wo die Menschen sehr einfach leben. Ich versuche Kontakt mit Einheimischen zu pflegen, teilweise mit Händen und Füssen zu kommunizieren, da hier oftmals keine anderen Sprachen gesprochen wird. Ich habe aber zur Unterstützung meinen portugiesischen Mann an der Seite.
Fragen die ich mir selbst stelle:
Was hätte ich anders gemacht? Die Sprache in der Schweiz intensiver gelernt. Meine Selbstständigkeit und das Nebeneinkommen in der Schweiz schon intensiver „gepusht“.
Was hat mich überrascht? Portugal ist in vielen Bereichen moderner und fortschrittlicher als die Schweiz. Die Internetverbindung ist stabiler und schneller. Für zahlreiche Dienstleistungen stehen Apps zur Verfügung, sodass viele Prozesse online abgewickelt werden können, darunter Steuern, Versicherungen, Schule und medizinische Versorgung. Physische Post wird hier selten verschickt, weshalb die Briefkästen entsprechend klein sind.
Für alle Schweizer, man kämpft in der Provinz teilweise mit dem Nichtwissen des Schengen- Abkommens und wird nicht als EU angeschaut, also unbedingt den CH-PASS mitnehmen😉
Was schätze ich? Die freundlichen, hilfsbereiten und aufgeschlossenen Menschen. Die Nähe zum Meer bietet eine beruhigende Atmosphäre und der Alltag dreht sich nicht ausschliesslich um Arbeit und Wohlstand. Es herrschen vielmehr sonnige Tage und eine entspanntere Lebensweise.
Was vermisse ich? Eigentlich vermisse ich wenig, ausser meine Freunde, den Schweizer Käse und die sauberen Strassen. Es könnte einfach an meiner Einstellung und der Neugier liegen, Neues kennenzulernen und nicht an alten Mustern festzuhalten.
Was mich stört? Der schlechte Umgang gewisser Menschen mit den Tieren. Teilweise langsame und komplizierte Bürokratie und Unzuverlässigkeit. Die hohe Luftfeuchtigkeit und die Kälte in gewissen Häusern.
Was habe ich hier bis jetzt erreicht habe, was ich in der Schweiz nicht hatte? Mehr Zeit und Flexibilität für unser Kind durch meine selbstständige Tätigkeit. Ein Kind, das gerne zur Schule geht und zufriedener ist. Der Wunsch, mehr Tiere zu halten und ein eigenes Haus zu besitzen, was in der Schweiz nicht möglich gewesen wäre. In der Schweiz ging es uns gut, aber wir mussten sehr viel arbeiten und am Ende des Monats blieb nur wenig übrig.
Würde ich es wieder machen? Eine Auswanderung erfordert viel Mut und Energie. Es gibt immer wieder Momente, in denen Hürden überwunden werden müssen, aber JA ich würde es wieder tun!
Autorenprofil:
Angélique Monteiro
Angie ist anfangs 2024 nach Portugal ausgewandert. Sie möchte zeigen, dass solche Veränderungen Mut und Überwindung brauchen, es aber auch eine grosse Chance sein kann.
Es gibt berufliche Alternativen, die mehr Flexibilität bringen, wenn man offen ist. Ihre Mission ist es, Menschen, zu zeigen, dass es nicht immer 08/15 sein muss.